12 Aug „Industrie 4.0“ — Traum − Alptraum − Untergang?
„Industrie 4.0“ — Traum − Alptraum − Untergang?
Es ist ein Traum, beinahe so alt wie die Menschheit: Magier oder Maschinen, die für uns arbeiten. Tatsächlich: Ob nützliche „Heinzelmännchen“ im Haushalt oder komplette „selbst denkende Fabriken“ für die Industrie − die Arbeitswelt ändert sich rasant. (Sicherlich zu schnell — Speed kills!)
Aber: Wie wird die Digitalisierung uns und unser Umfeld wirklich beeinflussen? Werden nur noch Roboter arbeiten? Und was tun wir, wenn die „Arbeit“ von selbstdenkenden Maschinen erledigt wird?
Auf dem Boden liegen Glasscherben der riesigen Fenster, die Stille der leeren Halle, lässt das turbulente Treiben, welches hier vor einigen Jahrzehnten geherrscht hat — nur schwer erahnen. Nur der Schornstein, dem schon lange kein Rauch entkommen ist, erinnert an längst vergangene Zeiten, in denen hier noch fleißig gearbeitet wurde.
Wir stehen im Jahr 20.. in einer Industrie-Ruine einer ehemaligen Fabrik. Man findet diese überall auf der Welt verstreut: auch hier bei uns in Wien — irgendwo jenseits der Donau. Es sind technische Innovationen, die immer auch Ruinen hinterlassen. So war es auch bei der Erfindung der Dampfmaschine, die zur „Ersten industriellen Revolution“ geführt hat. Die „Zweite industrielle Revolution“ war am Beginn des 20. Jahrhundert und wurde durch die Elektrifizierung und das Fließband eingeleitet. Die „Dritte industrielle Revolution“ begann, als die Automatisierung und die Lochstreifen-Maschinen die Produktion zu verändern begann. Und jetzt — befinden wir uns am Beginn der „Vierten industriellen Revolution“, „Industrie 4.0“ eben, zumindest wenn es nach den vielen Experten-Meinungen geht.
Der Begriff soll den Wandel beschreiben, der durch die Digitalisierung in der Produktions- und Arbeitswelt geschieht. Ein globales Phänomen — doch ist es ein Begriff, den es nur in Deutsch gibt. Auch wenn diese Zukunft noch schwer fassbar ist, im Kern geht es bei „Industrie 4.0“ um eine effizientere Produktion. Mittels „künstlicher“ Intelligenz sollen Maschinen „mitdenken“ können und neue Prozesse erlernen. Sie sollen (werden) direkt und eigenständig untereinander kommunizieren können, ohne dass ein (lästiger) dazwischengeschalteter menschlicher Mitarbeiter nötig ist. Schließlich sind diese neuen Maschinen an das Internet angeschlossen und erfassen selber die Daten, die sie für die Anpassung der Produktion brauchen.
Im Grund soll in der „Industrie 4.0“ nur das geschehen, was für uns Menschen längst Alltag ist. Auch wir sind über unsere Smartphones permanent mit dem Internet verbunden. Wir sind „vernetzte Einheiten“ geworden, die viele Daten produzieren, von denen wieder andere profitieren und verdienen. „Oftmals wird der Begriff „Industrie 4.0“ für das verwendet, was meiner Meinung nach besser beschrieben wird als digitale Transformation. Die finden wir überall im Alltags-Leben. Die finden wir auch im industriellen Umfeld. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen uns, auch mit den Produkten, die wir schon haben, ganz neue Geschäftsmodelle zu entwickeln“, meint Detlef Gerhard vom Institut für Maschineninformatik an der Technischen Universität in Wien.
In seiner Abteilung forscht man schon seit einiger Zeit zu dem Thema. Es geht erst einmal weniger darum, ganz neue Produktionsmaschinen zu entwickeln, sondern um die Erweiterung bestehender Systeme mit Sensoren, Internetverbindungen und Computersystemen: „Die Systeme sollen in der Lage sein, auf Basis von Daten sich selbst zu optimieren und an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen.“
Es ist eine Entwicklung, die in Österreich leider noch in den Kinderschuhen steckt. Für den ersten Schritt in Richtung digitale Zukunft der Produktion ist ein Verein gegründet worden von Regierung, Industrie und von Wirtschafts- und Arbeiterkammer. Man will den Wirtschaftsstandort Österreich erhalten. Denn die Szenarien, die durch eine „Industrie 4.0“ heraufbeschworen werden, sind mehr als bedrohlich. Wie in anderen westlichen Ländern hofft man auch bei uns, über eigene Innovation die Billiglohnländer wieder abzuhängen.
Für den Geschäftsführer der Plattform „Industrie 4.0“ Roland Sommer hat schon alleine der Begriff eine erfreuliche Begleiterscheinung: „Einer der positiven Effekte des Begriffs „Industrie 4.0“ ist, dass man plötzlich wieder an die Industrie denkt. Man sieht auf einmal wieder, wie viel Wertschöpfung und wie viel Arbeitsplätze die Industrie schafft. Es gibt Studien, die besagen, dass in Zukunft sogar mehr Jobs benötigt werden könnten. Das ist eine große Chance für Europa und Österreich.
Aber wie passt das zusammen — neue, zusätzliche Jobs durch eine Entwicklung, die eigentlich viele Mitarbeiter durch intelligente Maschinen ersetzen soll? Gern wird auf „neue Geschäftsfelder“, „neue Berufe“ und auf „neue Dienstleistungen“ verwiesen, die angeblich durch die „Industrie 4.0“ entstehen können (könnten). Silvia Angelo − Chefökonomin der Arbeiterkammer − bleibt skeptisch: „ Fakt ist, es wird dazu führen, dass es weniger Jobs für Niedrigqualifizierte geben wird, weil viele Dinge automatisiert werden. Einige werden in der Zukunft einfach nicht mehr benötigt. Alle Studien belegen eigentlich, dass es weniger Beschäftigung geben wird. Das Ausmaß ist ungewiss, ich glaube nicht, dass es so schnell gehen wird, aber natürlich, es wird einen Wandel geben. Das heißt: hin zu qualifizierten Berufen und weg von reinen Hilfsarbeitertätigkeiten.“
Wie sehen dann die Jobs der Zukunft aus? Wer wird noch Arbeit haben — und welche? Daniel Pfeiffer von der „Österreichischen Gesellschaft für 3D-Druck“ glaubt, dass die Fabrik der Zukunft immer öfter in den „eigenen vier Wänden“ stehen wird (back to the roots). Ein handelsüblicher 3D-Drucker kann Objekte aus Kunststoff per Laser formen. Was vor kurzer Zeit noch eine sündteure High-Tech-Spielerei war, wird immer besser und billiger. Jetzt können auch Objekte aus Keramik oder Metall „ausgedruckt“ werden. In der Industrie, zum Beispiel im Flugzeugbau, sind 3D-Drucker bereits im Einsatz. Aber auch die private Produktion von Gegenständen daheim − nach einem Programm aus dem Internet wird immer erschwinglicher. Statt in ein Geschäft zu gehen und viel Geld für ein Einzel- oder Ersatzteil hinzublättern, wird man vieles „einfach ausdrucken“. Größere Dinge und Massenartikel werden immer produziert werden. Aber Einzelteile oder gewünschte Sonderanfertigungen werden sicherlich „außer Haus“ gefertigt werden. Technologien wie der 3D-Drucker könnten den Fabrikarbeiter ersetzen − dadurch kann es aber mehr Arbeit für Konstrukteure, Programmierer und Designer geben.
Produktion, Verkauf und Kundenwünsche werden in Zukunft schneller verschmelzen. Auch die Verarbeitung großer Datenmengen wird immer wichtiger. Arbeitsplätze werden nicht nur in der Produktion verloren gehen, sondern auch im Dienstleistungssektor. Der Onlinehandel, der seit Jahren den Geschäften das Leben schwer macht, werden durch eine digitalisierte Industrie noch größere Möglichkeiten eingeräumt.
Wohin die Reise gehen wird steht nicht fest. Werden viele Jobs verschwinden? Werden neue entstehen? Welche? Wie werden sie aussehen? Was wird eine sinnvolle Ausbildung sein? Brauchen wir nur noch Informatiker und Programmierer? Klar ist schon heute: Eine gute Ausbildung und permanente Weiterbildung ist mehr als wichtig!
Auch für den Wirtschaftsstandort Österreich und den heimischen Arbeitsmarkt gilt es bei der vor der Haustür stehenden „Industrie 4.0“ mitzuhalten. Auch eine dienstleistungsorientierte Gesellschaft ist von einer industriellen Produktion abhängig. Das Smartphone zum Beispiel hat die Arbeitswelt im Westen stark verändert. Sie wurde und ist für viele Dienstleister ein unverzichtbares Produktivitätswerkzeug geworden. Erzeugt werden die Geräte vor allem in Asien. Seit dem Niedergang von „Nokia“ gibt es kein europäisches Unternehmen mehr, das eigene Handy produziert.
Wie überall in Europa gibt es auch bei uns die Hoffnung, die Konkurrenzfähigkeit durch eine „Industrie 4.0“ gegenüber Billiglohnländer wieder zu steigern. Doch da gibt es leider ein weiteres großes Problem. In China ist das deutsche Wort „Industrie 4.0“ nicht bekannt, aber dort hat man mit der Umstellung − still und leise − auf eine digitalisierte Industrie-Welt schon längst begonnen.
Quo Vadis Europa?
Quelle: ECO 2017