VbF - Verband betrieblicher Führungskräfte | Dieses System hat keine Zukunft mehr
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Dieses System hat keine Zukunft mehr

Dieses System hat keine Zukunft mehr

„Dieses System hat keine Zukunft mehr“

„Dieses Buch ist ein wütendes Buch, ein verzweifeltes Buch. Ja, wir sind die erste Generation in der Geschichte, die die Folgen ihres Handelns bereits kennt. Wir haben auch die wissenschaftlichen Antworten, was wir tun könnten. Haben aber „Null Bock“, es zu tun. Wir sind noch zu reich, zu überheblich. Wir haben den Eindruck, dass unsere Welt alternativlos ist, dass die Wirtschaft alles diktiert. Das entschuldigt uns.“ So ähnlich lautet der Kommentar von Philipp Blom zur Erscheinung seines neuen Buches „Was auf dem Spiel steht“.

Philipp Blom – Historiker und Kommentator der politischen Gegenwart – schreibt, dass die westlichen Gesellschaften vor einer schwierigen Wahl stehen: radikale Markt-Liberale einerseits – anderseits autoritäre Populisten. Beide gaukeln einfache Lösungen für die globale Herausforderung vor. Und verspielen so unsere Zukunft.

Blom ist überzeugt, dass „eine Gesellschaft, die keine Hoffnung in die Zukunft hat nicht sehr lange existieren kann. Viel Hoffnung in die Zukunft haben wir aus gutem Grund nicht – weil wir wissen, dass sich die Gesellschaften durch Migration ändern werden, der Klimawandel kommt, die Jobs wackeln infolge der Digitalisierung. Wo immer wir hinschauen, ist die Zukunft bedroht.“

Philipp Blom meint: „Man wäre blöd, sich keine Sorgen zu machen! Optimismus ist etwas Schönes, aber dummer Optimismus ist gefährlich! Nicht alles, was ich in „Was auf dem Spiel steht“ beschreibe, muss so eintreten, aber es ist ein durchaus plausibles Szenario – es könnte so werden!

Philipp Blom ist kein Prophet, sondern Historiker. Er kann also nicht in die Zukunft schauen, aber er kann als Historiker Strukturen anschauen, erkennen und analysieren, die Entwicklungen möglich machen. Und da sind einige Entwicklungen schlüsselhaft:

Eine davon ist die Klimaerwärmung und mit ihr Effekte, wie die Migration. Eine weitere ist die Digitalisierung, die immer mehr Jobs unnötig macht. Klimawandel und Digitalisierung werden unsere Gesellschaft grundlegend verändern. Nicht in fünfzig, NEIN, sondern in den nächsten zehn, zwanzig Jahren. Da sind jetzt Fehler am Horizont, die die Menschheit nur einmal machen kann. Wenn der Klimawandel aus dem Ruder läuft, ist es plausibel, dass es bald keine hoch entwickelten Gesellschaften mehr gibt.

Wenn sich Anbaugebiete nach Norden verlagern, haben Millionen Menschen keine Einkünfte, kein Auskommen mehr. Diese werden nicht mehr, mit dem Klima mit wandern können, denn da lebt ja schon jemand anderer. Sie werden in die großen Städte gehen. Diese Mega-Metropolen werden immer riesiger und unregierbarer werden. Es ist übrigens egal, ob der Klimawandel menschgemacht ist – oder nicht. Diese Entwicklung passiert so oder so. Er kann höchstens durch uns beschleunigt werden. Die einzige Entscheidung, die wir in der Hand haben: Wollen wir das erleiden oder gestalten. Es geht auch nicht darum, dass wir den Planeten zerstören.

Das ist eine wahnsinnige Selbstüber= schätzung. Wenn wir so weiter machen und der Klimawandel fünf Grad mehr bringt – das schlimmste Szenario –, heißt das: Alle Wetter-Phänomene, alle Ozeanströmungen kehren sich um. Wenn das passiert und die Menschen verschwinden, wird die Welt bald wieder wunderbar. Es ist also nur in unserem eigenen Interesse. Der Planet braucht uns nicht. Wenn wir den Klimawandel überstehen, bleibt die Herausforderung Digitalisierung ….

Immer mehr Menschen werden keine Arbeit mehr haben, während immer weniger Menschen die Produktionsmittel kontrollieren – die Fabriken besitzen, die Roboter und Patente haben. Kontrolle und politische Macht werden in immer weniger Händen liegen. Ein immer größer werdender Teil wird für das ökonomische Leben überflüssig sein und nur noch als Konsument gebraucht werden. Diese Menschen haben auch keine Chancen mehr, gesellschaftliche Entwicklungen mit zu bestimmen, in dem sie das Recht zu streiken in Anspruch nehmen, weil sie keine Arbeit mehr haben – sie sind in der Gesellschaft fast nutzlos geworden.

Nun ist die Ironie dabei, dass das eine sehr positive Entwicklung sein könnte. Wir könnten nämlich sagen, dass wir die ersten Gesellschaften der Menschheitsgeschichte sind, die sich von der Notwendigkeit der Arbeit emanzipieren können. Der Wohlstand wird trotzdem geschaffen – von Computern, Robotern und Algorithmen. Der Reichtum könnte umverteilt werden. Die westlichen Gesellschaften haben den Menschen seit einer Generation immer eingebläut:

Ihr seid keine Bürger, sondern Konsumenten.

Das hat Konsequenzen. Die Identität ist nicht mehr vom Staat oder der Kirche geprägt, sondern von ihren Konsument-Entscheidungen. Wir haben diese Konsum-Demokratien geschaffen, weil sie in der Nachkriegszeit sehr attraktiv erschienen. Und mit dem globalen Wirtschaftswachstum, Massenproduktion, standen auf einmal Güter zur Verfügung, die es vorher für die meisten nicht gegeben hat. Da war Konsum etwas Transformatives.

Und etwas Friedenförderndes.

Der Autor schreibt, dass er weder gegen Kapitalismus noch gegen Märkte ist, aber mittlerweile sind wir eingeschlossen in einen Kapitalismus, der gezwungen ist, immer weiter zu wachsen, weil wir alle – auch die Staaten – Schulden haben, die wir nur bedienen können, wenn die Wirtschaft wächst. Es kann nicht so weitergehen. Und das begreifen viele Menschen instinktiv. Das System ist so weit erschüttert, dass das alte demokratische Versprechen: „Deinen Kindern wird es besser gehen als dir“, nicht mehr stimmt. Während ich am Buch arbeitete, habe ich mich immer wieder gefragt, ob das alles nicht zu weit hergeholt sei. Sicher nicht, ich gehe Argumente immer wieder durch und komme zum Schluss: Nein!

Panik ist ein schlechter Ratgeber. Jetzt, wo es uns noch relativ gut geht, haben wir begriffen, dass dieses System keine Zukunft mehr hat. Es wird einen Patchwork-Teppich an Lösungen brauchen – weniger Energie verbrauchen, weniger konsumieren, weniger Fliegen und ferne Urlaube machen. Das setzt voraus, dass wir jetzt ernsthafte und tief greifende Änderungen in unserer Wirtschaft und Gesellschaft vorzunehmen beginnen. Leider, sehe ich dafür keine Anzeichen.

Es gibt einige Politiker, die die Vollbeschäftigung zurückbringen wollen. Es wird nie wieder Vollbeschäftigung geben. Die sind im falschen Jahrhundert. Wir dürfen uns aber nicht auf dumme, ideologisch fixierte Politiker rausreden. Wir haben sie gewählt. Wir könnten höchstens eine neue Partei gründen und Dinge anders tun. Und wir Alten müssten eigentlich sagen: Keiner über 40 sollte noch Macht haben. Geben wir sie in Händen derer, die mit diesen Entscheidungen leben werden müssen. Beraten wir sie und helfen wir ihnen, wo wir können, aber (oder) machen wir ein Parlament der „Jungen Generation“. Denn die können neue Gesellschaften bauen, die in einer Generation genauso normal wären, wie die jetzigen. Die nicht mehr nur auf Konsumausgerichtet sind, wo Dinge kosten, was sie wirklich kosten, wo wir keine künstlichen Preise mehr haben, wie jetzt, weil Rohmaterialien durch Sklavenarbeit erwirtschaftet und Recyclingkosten nicht eingerechnet werden. Der Handlungsbedarf ist   – wie man sieht – gigantisch.

Quelle: „Was auf dem Spiel steht“ Philipp Blom
Hanser – Verlag ( 20,60 €)